Künstliche Landschaften heute und damals
Unter diesem Motto stand die diesjährige Frühjahrsausfahrt der Sektion Berlin/Brandenburg. Sektionsleiter Christoph Paliot und seine Frau Jeannine haben sich wieder große Mühe und nicht zu unterschätzenden Aufwand mit der Ausarbeitung und Durchführung gegeben! Denn das ist die Voraussetzung für das Gelingen einer solchen Tour! Gemeinsame Freude am Fahren mit den Katzen durch unbekannte Landschaften, meist auf Straßen zweiter und dritter Ordnung. Mit dem Roadbook zu findende Ziele, knifflige Fragebögen nebenbei und kleine Wettbewerbsspiele zwischendurch und am Wegesrand. Geselligkeit bei den Imbissen in den Fahrtpausen und bei den abendlichen Buffets und Menüs im Hotel. Das ist die bewährte Mischung, die die Mitglieder der Sektion auf diesen Ausfahrten zu schätzen wissen.
Die Lausitz mit ihrer neuen Seenlandschaft ist also unser Ziel. Sie liegt zwar nur gut eineinhalb Fahrstunden südöstlich von Berlin, jedoch ist sie ein weitgehend unbekanntes Terrain. Sie ist viel weniger im Fokus des Autotouristen, als der weiter nördlich gelegene Spreewald mit seinem Netz von Kanälen.
Mein altes Lausitz-Reisehandbuch (VEB Tourist Verlag, Berlin, DDR 1985) zeigt auf seiner Gebietskarte nur den Senftenberger See, etwa südlich der Stadt gelegen. Dieser ehemalige Braunkohletagebau ist schon damals geflutet gewesen und als Freizeitgebiet beliebt. Die übrigen riesigen Flächen des Braunkohletagebaus dehnten sich ca. zwischen Calau, Senftenberg, Bautzen, Niesky, Weißwasser bis hoch nach Forst und Guben aus. Auch die zu den volkseigenen Kombinaten gehörenden Kraftwerke und Brikettfabriken waren 1985 noch im Betrieb. Heute ist diese Industrielandschaft nicht mehr wieder zu erkennen. Dort breiten sich in klarer Luft nun Seenlandschaften, Aufforstungen und neu angelegte landwirtschaftliche Nutzflächen aus. Die Wunden sollen heilen, die Jahrzehnte lang der Natur und den Bewohnern der verschwundenen Dörfer zugefügt wurden.
Mittwoch, 31.4.25. Nach dem Überwinden des üblichen Berliner Verkehrsinfarktes, erreichen wir nachmittags mit unserem treuen Mk 2, 2,4l unser Standort-Hotel am Südrand des Geierswalder Sees, östlich des Senftenberger Sees gelegen. Dieser See scheint ein Muster der Neugestaltung dieser Landschaften nach dem Ende der Kohleförderung. Natürlich wirkende Gestaltung der Uferregionen, Anpflanzungen von genügsamen Gehölzen, Anlegen von Sportboothäfen, Campingplätzen, Rad- und Wanderwegen sowie neuer Straßenführungen, so entstehen die „Blühenden Landschaften“ auch hier.
Wo man hinblickt, gibt sich das Hotel „Der Leuchtturm“ ein maritimes Motto. Die reservierten Zimmer waren bis abends von den 23 Teilnehmern bezogen. 10 Jaguare, ein Golf II in erster Hand und ein farblich nicht zu übersehendes Aston Martin Cabrio fanden ihren Platz in den hauseigenen Parkbuchten.
Gegen 19 Uhr ist ein gemeinsames Fingerfood-Buffett unter freiem Himmel in der Bikini-Bar vorgesehen. Der Chat dieser Fahrt verkündete verschiedene Dresscodes für die Dinner-Abende. „Casual chic“ an den ersten beiden Abenden? Wenn ich nur wüsste, was das ist, bemühe mich aber um einen „entspannten Look“. Es ist kein Wunder, dass ich den schweren Koffer voller Dresscode-Kleidung kaum in den Kofferraum des Mk2 hieven konnte.
Wir stehen auf der Veranda der Bar. Frühsommerliche Wärme, ein leicht verschleierter, blauer Himmel spiegelt sich in ruhigen, fast endlos erscheinenden Wasserflächen. Erfrischende Getränke und der Genuss des Fingerfood in diesen Abendstunden. Es folgt ein Sonnenuntergang, der von Capri stammen könnte! Das ist eine gute Einstimmung für uns auf die kommenden Tage unserer Frühjahrsausfahrt!
Donnerstag, 1.5.25. Gegen 9.30 Uhr ist das Treffen auf dem Parkplatz. Ausgabe der Startnummern und Roadbooks und geplante 150 Straßenkilometer. So ein Roadbook lässt nun mehrere Möglichkeiten offen. Der Beifahrer kann die Chinesenzeichen und kärglichen Angaben zu deuten versuchen, Google Maps und andere digitale Helferlein bemühen oder den Fahrer einfach den Pfaden der vorausfahrenden Jaguare folgen lassen. Jedenfalls beinhaltet das Roadbook genügend Anlass für Irritationen, Verstimmungen und Vorhaltungen. Gelassen bleiben, wenn ein paar Extrakilometer zu fahren sind, ist der gute aber schwer zu befolgende Rat.
Südöstlich von Hoyerswerda erreichen wir gegen 11 Uhr das weitläufige Gelände der „Energiefabrik Knappenrode“. Unter diesem Namen ist die ehemalige Brikettfabrik nun ein sächsisches Industriemuseum. Der unwissende Zentralheizungsnutzer erhält hier einen Einblick in die Mühsal der Braunkohle-Brikettfertigung. Der Heizwert von Braunkohle ist gegenüber der Steinkohle deutlich geringer. Der hohe Wassergehalt der Rohbraunkohle wird in einem Energie fressenden, aufwändigen Prozess reduziert, ehe das Brikett gepresst werden kann. Beim Rundgang durch die informativ aufgebaute Ausstellung, ist die Schwere dieser Arbeit zu erahnen. Die unerträgliche Hitze, der Staub, der Lärm der Verarbeitungsanlagen, die Gerüche und giftigen Abgase. Ohne Unterlass, Tag für Tag, Schicht für Schicht. Nach der Besichtigungstour wartet eine lange gedeckte Tafel auf uns. Kaffee aus der Isolierkanne und für jeden je zwei halbe Stück Blechkuchen zur Auswahl. Zeit, das gerade Erlebte zu verarbeiten.
Weiter führt das Roadbook Richtung Großräschen. Der Himmel über dem Großräschener See, ehemals Ilsesee (wegen der damaligen „Ilse-Bergbau-AG“) ist wieder blau, mit Schäfchenwolken über bleiern ruhigem Wasser. An Bord der „Wilden Ilse“, einem kleinen wohl restauriertem alten Ausflugsschiff, werden wir die Ufer dieses neuen Sees abfahren. Das Schiff ist wohl das einzig Wilde hier. Wir genießen Sonne, Wärme und die ungestörte Ruhe, die hier über allem zu schweben scheint.
Anschließend schleust uns das Roadbook auf verschlungenen Pfaden zu einem Aussichtsturm mit einem dreieckigen Profil, das „Rostiger Nagel“ genannt wird. Nägel sind vielleicht rostig, aber zu mindestens spitz. Merkwürdig, der Turm hat so gar nichts von einem Nagel, bietet aber einen beeindruckenden Rundumblick über die Seenlandschaft. Er soll erinnern an die 14 Dörfer mit ca. 3.500 Einwohnern, die dem Kohleabbau geopfert wurden.
Das Wettbewerbsspiel dort hat die Aufgabe, 50 cm an zwei Pylonen vorbei zu fahren. Gut abschätzen ist hier erforderlich, das hat unser MK 2 mit 52 cm recht gut gemeistert.
Zurück im Hotel, ist gegen 18 Uhr ein Grillbuffet im Bootshaus vorgesehen. Der angesagte Dresscode nennt sich wieder „Casual chic“. Anregende Gespräche an den runden Tischen und die Erwartung auf Morgen. Wieder entsteht ein Sonnenuntergang über dem See, wie bei Capri besungen.
Freitag, 2.5.25. Ab 9.30 Uhr die Ausgabe der Roadbooks und geplante 110 Straßenkilometer. Es ist Freitag, der Tag, an dem die Parkplätze der städtischen Einkaufszentren immer gut gefüllt sind. Dennoch halten wir unser Wettbewerbsspiel dort ab. Wo ist bei Deinem Fahrzeug die Rückfahrleuchte eingebaut? Ha, das weiß nicht jeder!
Das Roadbook führt uns anschließend nach Bad Muskau, an der Lausitzer Neiße gelegen, dem Grenzfluss zu Polen. Das Lausitzer Gartenreich des Muskauer Parks ist ein Lebenswerk des berühmten Hermann Fürst von Pückler (1785-1871). Angenehm warmes Sommerwetter auch hier. Wir lassen uns von unserer humorigen Parkführerin die Garten-Philosophie des Fürsten erklären. Die Umsetzungen dieser Visionen in Natura waren derart kostspielig, dass der adeligen Familie ständig die Zahlungsunfähigkeit drohte. Aber der Fürst hatte noch andere Talente und nicht zuletzt eine liebende Ehefrau die weise war, ihm alles verzeihend und dabei sehr weitblickend für das Wohl von Familie und Besitz. All das ist bereits hinreichend beschrieben.
Im Neuen Schloss stehen auf der Terrasse Tische für einen Imbiss bereit. Der Blick auf den Park bei angenehmer Wärme des Frühsommers. Selbstverständlich wird hier auch Fürst-Pückler-Eis serviert!
Auf dem Parkplatz findet anschließend ein nächstes Wettbewerbsspiel statt. Erschnüffeln und Benennen von Flüssigkeiten, die zum Betrieb von Kraftfahrzeugen gehören könnten. Sehr schwer, wenn man nur die bekannten Gerüche von Altöl, Benzin und Diesel erwartet! Diese Gerüche erinnern aber mehr an Lebensmittel-Aromen, als an Kfz-Betriebsmittel. Wir tun uns alle schwer mit den richtigen Antworten.
Sodann erfolgt die direkte Fahrt zurück zum Leuchtturm Hotel. Dresscode ist heute Abend „Maritim elegant“. Das wird erwartet zum Vier-Gänge-Menu ab 18 Uhr. Dieser Code kann mit der Kleidung der Caprifischer oder auch der von Karibikpiraten erfüllt werden, vermute ich. Ein weiteres Wettbewerbspiel läßt uns Würfel mit Hilfe von Ess-Stäbchen auftürmen. Konzentrationsübung bei ruhiger Hand, nicht einfach zu erfüllen. Es ist es ein geselliger Abend in gut gelaunter Runde.
Samstag, 3.5.25. Ab 9 Uhr Ausgabe der Roadbooks und geplante 195 Straßenkilometer. Das erste Ziel des Tages ist die Stadt Guben, nordöstlich von Cottbus an der Neiße gelegen. Wir stellen die Katzen auf dem Parkplatz eines Möbelhauses ab. Im nicht mehr benötigten 2. Stock des Hauses hat sich der örtliche Oldtimer-Verein ein eigenes Reich für seine umfangreiche Fahrzeugausstellung geschaffen. Der Lastenfahrstuhl macht es möglich, auch Schwergewichte wie das Prachtstück eines 20er Jahre Bentley hinauf zuschaffen. Jaguare sind mit einem XK 120 OTS, einem MK 2 3,4l und einem E-Type Serie 1 hier sehr gut vertreten! Feine Vertreter aus ost- und westdeutscher Fahrzeugproduktion, u.a. P70 und Opel Kadett, einige Vorkriegsseltenheiten von BMW und Mercedes werden uns fachkundig erklärt. Auch die Sammlung von Mopeds und Motorrädern, Vor- und Nachkrieg, unzählige fahrzeugbezogene Werbung, Werkzeuge und Zubehöre sind hier sehenswert und thematisch geordnet. In diesem Männerparadies darf natürlich eine Bar und urige Sitzgelegenheiten nicht fehlen! Die 60er-Jahre-Jukebox spielt uns Passendes von Vorgestern und am Bartresen sitzt man bequem auf den Sitzbänken abgeflexter hinterer Vespa-Hälften. Kuchen, Kaffee und andere Getränke, Bockwurst mit Schrippe werden gereicht. Alles prima, hier lässt es sich gut verweilen.
Aber wir müssen weiter! Das Roadbook führt uns zu Park und Schloss Branitz, wieder auf die Spuren des Fürsten Pückler. Wir beide haben uns mit dem Mk2 verfahren und so kommen wir verspätet als Letzte an. Sowas passiert, gelassen bleiben, ich übe mich darin, immer wieder. Ein Platz ist für Jag. auf dem privilegiert zu nutzenden Rasen frei gehalten. Die Wolken werden dichter und es wird wohl bald regnen. Vor dem Schloss warten wir bei den ersten Regentropfen auf unsere Führerin zur anstehenden Schlossbesichtigung. Es erscheint eine Dame, unerwartet in der Garderobe des 19ten Jahrhunderts gekleidet und stellt sich vor. Sie sei Lucie von Hardenberg, die Angetraute des Fürsten Pückler. Sie wird uns bei unserer Schlossbesichtigung durch die zeitgerecht eingerichteten Räume führen. Sie verrät uns Intimes ihrer Ehe und auch so manche Legende, die sich um ihr fürstliches Leben rankt.
Inzwischen hat draußen der Regen zugenommen, so richtig passend zur englischen Gartengestaltung des Branitzer Parks. Zum Besuch der berühmten Grabespyramide des Fürsten bleibt uns leider keine Zeit. Als wenn der Regen nicht lästig genug wäre, zeigt unser Mk2 seit dem letzten Tanken und auf der Rückfahrt zum Hotel Leuchtturm das rote Licht „Ignition“! Es ist unter diesen Umständen nicht möglich, nach den Ursachen zu forschen. Ich schalte unnötige Verbraucher ab.
Unter Beachtung des Dresscodes „Business casual“ erreichen wir das im Bootshaus angerichtete Leuchtturm-Buffet. Der nun stetig schnürende Regen und der Blick auf das finstere, kabbelige Wasser des Geierswalder Sees, kann uns die Laune des letzten Abends dennoch nicht nehmen. Inzwischen sind die Ergebnisse der kleinen Wettbewerbe und Fragebogen von Jeannine und Christoph ausgewertet worden und wir sind gespannt auf die Siegerehrungen. Das Ergebnis: dritter Platz für die Familie Podkowa, tatkräftig unterstützt durch Sektionsdackel Leopold. Zweiter Platz für Familie Kosicki, und der erste Platz für das Team Bernd Riedel/Leo Paliot. Der ehemalige langjährige Sektionsleiter Bernd Riedel überreicht Christoph einen großen Bilderrahmen, der lange seine eigene heimische Wand geziert hatte. Auf racing-grünem Grund prangt chromblitzend unter dem klassischen Schriftzug JAGUAR der Leaper. Ein tolles Geschenk!
Sonntag, 4.5.25. Gegen 10 Uhr ist die Ausgabe der Roadbooks mit geplanten 60 Straßenkilometern bis zum Zwischenziel Calau, westlich von Cottbus gelegen. Wir parken alle auf dem Parkplatz eines ehemaligen Autohauses. Das Gebäude beherbergt nun die Sammlung des Oldtimerhandels Steffen Lange. Er sammelt ALLES, was den Geruch der DDR ausströmt! Das verkündet unübersehbar die Stelltafel an der Eingangstür. Neben den Autos und Motorrädern aus DDR- und Comecon-Fertigung, sind Alltagsgegenstände, Plakate, Banner, Zeitschriften und vieles mehr auf engem Raum versammelt. Der gesammelte DDR-Geruch ist hier gut konserviert. Die Militaria des großen Waffenbruders sind ebenso hier untergekommen. Sie wurden in alter Anhänglichkeit eingemeindet, vermute ich. Die angeschmuddelten, verblichenen Banner zum Aufbau und Ruhm des Sozialismus wirken auf mich merkwürdig aus der Zeit gefallen. Ist das schon so lange her? Trotz des ungewöhnlichen Mottos, diese Sammlung ist des Sehens und des Erinnerns wert.
Vor dem Gebäude, an frischer Luft, verabschieden wir uns voneinander. Eine Gruppe wird weiter fahren nach Luckau für einen letzten Mittagsimbiss. Die andere Gruppe wird direkt nach Hause fahren nach Berlin und Brandenburg.
Der Motor unseres Mk2 läuft gewohnt ruhig, nimmt gut Gas an, das Amperemeter zeigt ohne zusätzliche Verbraucher keine Entladung, mit dem Standlicht nur wenig. Ich schließe auf einen Limadefekt, der zu wenig Strom erzeugt. Für Zündung und Standlicht scheint es auszureichen, alle anderen Verbraucher sind aus zu stellen. Zum Glück sind zusätzlich die Standlichter in den Scheinwerfern angeschlossen, was unsere Sichtbarkeit für andere erhöht. So entscheiden wir, auf kurzem Wege über die Autobahnen nach Berlin zu fahren. Es klappt ohne Mucken bis in die heimische Garage. Vier ereignisreiche Tage der Frühjahrsausfahrt der Sektion Berlin/Brandenburg liegen hinter uns, mit 768 Straßenkilometern, glaube ich dem Fahrtenbuch. Eine Palette von Eindrücken und Stimmungen, Geselligkeit und Gesprächen unter Katzenliebhabern.
Bleibt mir herzlich Dank zu sagen an Jeannine und Christoph, die uns mit Ihrem Einsatz auch diese Frühjahrsausfahrt ermöglicht haben! Mit unseren Jaguaren auf verschlungenen Pfaden pirschen durch künstliche Landschaften, heute und damals.
Bernd Lenzner